Start-ups schwitzen in der Sauna

Saunieren. Ein Klischee, das die Finnen hervorragend erfüllen. Drei Millionen Saunen gibt es in Finnland. Eine besondere steht im Espoo Innovation Garden unweit der Universität Aalto: die Start-up-Sauna. Aber dazu später. Was sonst noch so abgeht im Land der Saunen und Seen (188.000 in Finnland), davon haben wir uns gemeinsam mit den 32 Teilnehmern der Studienreise der Fachgruppe UBIT nach Helsinki und Tallinn vor Ort überzeugt.

Bei der Busfahrt zum Ableger der finnischen Industriellenvereinigung - The Federation of Finnish Technology Industries (www.techind.fi) - wird eines klar: Es ist zapfig in der nördlichsten Hauptstadt der EU. Das Meer ist teilweise noch zugefroren. Im Hafen parken Eisbrecher. Die Temperatur sinkt im Winter auf 30 Grad unter Null - Saunaalarm. „Ich finde die nordische Kälte angenehmer“, spricht der Außenhandelsdelegierte Herwig Palfinger ins Busmikrofon, der bereits seit 5 Jahren in Helsinki stationiert ist und die Teilnehmer kurz über Finnland brieft: Bevölkerung knapp 6 Millionen, 600.000 Einwohner in Helsinki, ein BIP von 209 Milliarden Euro und bei einem durchschnittlichen Verdienst von 40.000 Euro sind die Lebenserhaltungskosten sehr hoch. So muss man für eine Eigentumswohnung beispielsweise zwischen 8.000 und 12.000 Euro hinblättern, am Stadtrand um die 6.000 Euro pro Quadratmeter.

Hohe Exportquote

Einen Teil des BIPs steuern die 1.600 Unternehmen der Technologieindustrie bei. Im Cluster findet man die Sektoren Elektronik, Mechanik, Metallindustrie, Consulting Engineering (unsere Ingenieurbüros) und den IT-Sektor. Sie alle weisen eine Exportquote von rund 80 Prozent auf und bieten für 280.000 Mitarbeitende Jobs. Vor allem im IT-Sektor beschäftigt sich der Cluster vorwiegend mit Cyber-Scurity, ein Markt der weltweit mehr Geld lukriert als der Drogenhandel. 54 Mitgliedsbetriebe befassen sich mit 2.500 Beschäftigten mit „Maleware“ und arbeiten dabei eng mit der Regierung zusammen.

Umkämpfter Markt

Cluster scheinen in Finnland überhaupt sehr beliebt zu sein. Ein großer ist der Spieleindustrie-Cluster mit dem klingenden Namen NEOGAMES (www.neogames.com). Die Unternehmen beschäftigen sich bereits seit den 1990ern mit Gaming. Das bekannte Spiel „Angry Birds“ stammt aus dessen Federn, was aber ein veraltetes Geschäftsmodell sei, so Koopee Hiltunen. Der NEOGAMES-Director spricht um 08:00 Uhr in der Früh lässig im Holzfällerhemd und Kaugummi kauend vor den UBITlern. Das Spiel konnte um einen Euro heruntergeladen werden. Ende. Jetzt werden Spiele gratis zum Download angeboten, aber für Extras muss bezahlt werden, was längerfristig Kohle ins Geldbörserl der Entwickler füllt. „Der Spielemarkt ist hart umkämpft“, sagt Hiltunen, „und ist seit 2014 um 33 Prozent gewachsen“. 2.700 Leute entwickeln Spiele – derzeit vor allem für Smartphones, Smartwatches und für Virtual Reality: „One of the big things in future“, ist Hiltunen überzeugt.

Rauchende Köpfe

Später geht es im Bus Richtung Aalto Universität ein wenig außerhalb der Stadt. Und man erkennt – es tut sich was bei den Finnen. Viele Euros werden in Infrastruktur gesteckt. Derzeit wird die U-Bahn in das Uni-Gebiet verlängert, was die Fahrtzeit wesentlich verkürzt. Nicht zu kurz treten die Finnen bei Forschung und Entwicklung, was im VTT Technical Reseach Center klar wird. CEO Jari Votila stellt klar: „Wir sind der Schlüssel zwischen Industrie, Universität und Forschung.“ Experten aus 39 Ländern liefern 4 Millionen Stunden „Brainpower“ im Jahr und zerbrechen sich die Köpfe über Green Industries, Smart Cities und Ressourcen schonende Industrie.

Entspannte Start-ups

Die Köpfe rauchen auch ein paar 100 Meter weiter in der Start-up-Sauna. In einer riesigen Industriehalle stolpert man über Sofas, geht vorbei an einem spartanischen Buffet und landet schließlich in einer Halle mit lauter Saunakabinen aus Holz. Aber hier wird nicht wie üblich geschwitzt, sondern in den Kabinen über Projekte geredet, programmiert und Gehirnschmalz verbraucht. Jeder kann die Start-up-Sauna zum Nulltarif nutzen, die von 08:00 bis 17:00 Uhr geöffnet ist. Die Idee ist es unter anderem, durch Events Start-ups mit Unternehmen zusammenzubringen. Beim Slush-Event (www.slush.org) werkten beispielsweise 1.000 Volunteers, die bereits vor Ort mit Unternehmern in Kontakt treten konnten. In der nahen „A? Design Factory“ wird über alternative Antriebe für Traktoren gegrübelt und im Innovation Garden werden ebenfalls Räume für Kreativität und Innovation zur Verfügung gestellt. Was aber auffällt: Alles ganz entspannt wie es scheint.

Gläserne Esten

Auf eine andere Art entspannt geht es auf der Fähre nach Tallinn zu. Das bummvolle Schiff schaukelt in 2 Stunden in die estnische Hauptstadt. Dort gibt es alles rund 30 Prozent günstiger. So sieht man Finnen mit Trollys durch die Gänge ziehen. Bereits auf der Fähre kann in den Shops eingekauft werden oder man unterhält sich in einer der Bars. 20 Schiffe laufen täglich im Tallinner Hafen ein und rund 3,7 Millionen Touristen säumen jährlich das Land, das „nur“ 1,2 Millionen Einwohner hat. Und jeder dieser Einwohner wird bereits bei der Geburt mit einer e-Card ausgestattet, die für alles mögliche wie zum Beispiel die Steuererklärung, als Führerschein oder für Internet-Wahlen verwendet wird. Gläserner Mensch nix dagegen.

Digitalisierte Regierung

Im über 300 Meter hohen TV-Turm schwärmt den Teilnehmern Anna Piperal vor, wie schnell in Estland eine Firma gegründet werden kann. In 18 Minuten. Weltrekord. Alles geht online und W-Lan ist sowieso überall selbstverständlich. „Ich war das letzte Mal vor 5 Jahren in einer Bank“, sagt die adrette Estin, die ihr Land und dessen e-Services bereits beim Forum Alpbach präsentierte. 88 Prozent der Haushalte haben Internet und Private können 500 e-Services nutzen, Firmen sogar rund 2.000. Durch diese Digitalisierung spart die Regierung rund 2 Prozent des BIP ein, das in Estland 21,5 Milliarden Euro beträgt und vorwiegend vom Tourismus lebt, wie man an den zahlreichen Touristen in der Altstadt unschwer erkennen kann.

Beim abschließenden Spaziergang durch ein Freilichtmuseum wird auch in Estland klar. Es ist zapfig. Und auch hier schwitzt man mindestens 2 Mal in der Woche in der Sauna. Kein Klischee.

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