„Gerade zum Umdrehen brauchst du Eier“

Das Ziel liegt 3.798 Meter über dem Meeresspiegel. Warum der Traum vom Gipfelsieg am Großglockner nur ein Traum geblieben ist und man sich trotzdem wie ein Sieger fühlt, erzählt Bergfex Livio Brandstätter.

Am 5. Dezember 2017 am Abend trudelte eine WhatsApp-Nachricht ein. Der Inhalt ungefähr so: „Der Ombre wird 50. Dazu ist eine Skitour am 6. Februar geplant – 1800 Höhenmeter, Top of Austria, Übernachtung, Hüttenzauber usw. – würde mich freuen, wenn du dabei wärst.“ Skitour und Hüttenzauber sind bei mir zwei klare Reizworte. Zugesagt! Aber Moment: Top of Austria? Das ist doch der Großglockner. Und da kommen sie auch schon, die ersten Zweifel. Aber zugesagt ist zugesagt und bis zum Anreisetag am 5. Februar 2018 rinnt noch viel Wasser die Drau hinunter.

Gamsiger Aufstieg

Und zack ist er da, der Tag X. Alles ist gepackt. Skitourenausrüstung, Sitzgurt, Seil, Pickel, Steigeisen und was halt noch für eine Großglocknertour notwendig ist. Ab geht’s Richtung Lucknerhaus – quasi Basecamp. Und weil man ja die Landschaft rund um das Lucknerhaus erkunden will, brechen wir gleich zur ersten Skitour auf – quasi Eingewöhnung. Das heutige Ziel ist das „Böse Weibl“ mit einer Höhe von 3.121 Metern und einem Aufstieg von knapp 1.300 Höhenmetern vom Lucknerhaus. Fetzblauer Himmel und einige Gamsen begleiten uns beim Anstieg. Es geht über sanft ansteigen Böden und steilere Passagen zwischen beeindruckenden Felsformationen bis zum Gipfel. Immer unter Beobachtung vom wuchtigen Großglockner, der wie ein Fels in der Brandung der Hohen Tauern dasteht. An diesem Tag werden wir mit einer pipifeinen Pulverabfahrt belohnt und das Weizen im Lucknerhaus schmeckt köstlich. Aber die Gedanken sind bereits woanders.

Skitour Großglockner

Zügiger Schritt
6. Februar 2018, Tagwache um 05:30 Uhr. Beim Frühstück merkt man die Nervosität. Immerhin sind es insgesamt 16 Freunde, die den Anstieg auf den Glockner in Angriff nehmen. Geschlafen haben die meisten mehr schlecht als recht. Trotzdem wird noch gescherzt beim Frühstück. Und auch beim Abmarsch um 06:30 Uhr im Morgengrauen. Es ist knackig kalt – so um die minus 13 Grad. Der Schritt ist zügig und die Temperatur macht einem nix aus. Wir sind die Ersten, die an diesem Tag das Abenteuer Glockner wagen und müssen spuren. Leo Schrottenbach, ein erfahrener Alpinist, übernimmt. Er zieht die Spur durch den jungfräulichen Pulver. Fest steht: es wird kein Kindergeburtstag. Je höher wir steigen, desto dünner wird die Luft und der Glockner schaut uns bei unserem Abenteuer ins Gesicht. Das Wetter passt. Der beinahe wolkenlose Himmel macht einen Gipfelsieg immer wahrscheinlicher.

Blasser Glockner
Auf ca. 3.200 Metern kommen wir auf das weitläufige Plateau vor dem letzten Aufschwung zur Adlersruhe. Und irgendwie sieht er anders aus, der Großglockner – blasser. Wir machen noch einmal Rast. Der letzte Hang vor dem Skidepot ist an die 40 grad steil. Aber der Schnee ist recht weich und die Spitzkehren machen keine großen Probleme. Ein Problem ist aber der immer stärker werdende Wind. Man merkt: Im hochalpinen Gelände weht sprichwörtlich wirklich ein anderer Wind. Und noch ein Problem: Der Glocknergipfel verschwindet hinter dichtem Nebel. Schon jetzt ist klar: der Gipfelsieg wird eher unwahrscheinlich. Wir steigen weiter auf bis zum Skidepot unter der Adlersruhe.

Null Chance
Der Wind wird immer stärker und es ist bitterkalt. Trotzdem legen wir die Steigeisen an und versuchen den Aufstieg über den Klettersteig zur Adlersruhe. Pickelharter Schnee, Eis und harter Fels begleiten einen auf dem Weg – und beim Blick nach rechts und links weicht die Farbe aus meinem Gesicht. Eine Gruppe ist schon weiter oben. Es gibt aber scheinbar kein Weiterkommen. Das Seil vom Klettersteig ist im Eis versunken – keine Sicherungsmöglichkeit. Einer von der Gruppe macht sich bereits auf den Rückweg. „Es hat keinen Sinn“, sagt Phillip, „die Chance auf den Gipfel zu kommen ist gleich null“. Auch ich breche ab und kehre zum Skidepot zurück. So wie vier weitere Freunde. Die anderen versuchen noch zur Adlersruhe zu kommen. Peter sagt, während er sich für die Abfahrt bereit macht: „Gerade zum Umkehren braucht man Eier. Es macht heute keinen Sinn und der Berg steht noch lange da.“

Staubender Pulver

Irgendwie bin ich erleichtert. Mit 16 Leuten auf den Großglockner zu steigen ist kein leichtes Unterfangen. Das hat uns der Berg bewiesen. Vielleicht hat er es auch gut gemeint mit uns. Denn die letzten Höhenmeter zum Gipfel sind die wahre Challenge. Mit 1.500 Höhenmetern Anstieg in den Beinen geht es an die Abfahrt. Und da fühlst du dich trotzdem als Sieger. Denn der Pulver staubt bei jedem Schwung, die Hänge sind unverspurt und rund um den Glockner strahlt die Sonne. Immer wieder blicken wir zurück auf den Tauernkönig, der umschmiegt wird von dichten Wolkenschwaden und den Blick auf den Gipfel nicht mehr erlaubt.

Einige haben es dann doch noch geschafft bis zur Adlersruhe. Aber im Lucknerhaus sind wir wieder alle vereint. Das Wichtigste: Es sind alle wieder gesund zurück. Diesmal war es mehr als ein Weizen, das die durstigen Kehlen hinuntergeronnen ist. Und der 50er vom Ombre wurde noch bis spät in die Nacht gefeiert.

Über den Autor: Livio ist Chefredakteur bei WUAPAA die redaktion. In seiner Freizeit sitzt er fest im Sattel – egal, ob Mountainbike oder Streetbike, Berg hinauf oder als Donwhiller herunter. Wer das mitverfolgen, seinen Senf dazu geben oder sich Inspiration für Touren holen will, findet ihn auf Facebook oder Instagram und Snapchat (livio73). In der Redaktion ist er auch erreichbar: livio.brandstaetter@wuapaa.com

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