Ein Land sucht seinen Weg

Warum mich Georgien mit seiner Landschaft und seinen Möglichkeiten fasziniert und gleichzeitig ratlos gemacht hat.

Wie geht es einem der sichersten Länder der Welt – mit Sommerstränden, Bergen für Sommer- und Winteraktivitäten und fruchtbaren Böden, auf denen weltweit geschätzte Weinreben wachsen? Durchwachsen. Die Rede ist nämlich nicht von Österreich, sondern von Georgien. Die Kaukasusrepublik durchlebt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht nur wegen der unsicheren geopolitischen Lage eine schleppende Weiterentwicklung.

Die Rahmenbedingungen passen

Im Mai 2019 hatte ich die Möglichkeit, über die Wirtschaftskammer Kärnten das Geburtsland von Stalin kennen zu lernen. Und irgendwie waren für mich fünf Tage später mehr Fragen offen als vor Reisebeginn. Einerseits fühlte ich mich im 3.500 Kilometer von Österreich entfernten Land vom ersten Moment an wohl. Die Georgier sind zu Fremden leicht distanziert, aber immer freundlich. Und das Land lebt seine Demokratie nicht nur auf dem Papier – Korruption wurde an der Basis erfolgreich bekämpft, die Kriminalitätsrate ist niedriger als in Österreich. Jetzt kommt das Aber: Irgendwie hat das Land den Anschluss an den Westen verloren. Auch wenn sich die Georgier stolz als Europäer betrachten. Mit einen Durchschnittsjahreslohn von knapp über 3.000 Euro verdienen die Bürger auch 18 Jahre nach der Eigenständigkeit kaum mehr als zur Zeit der Sowjetunion.

Wenn das Unternehmertum fehlt

Im jahrzehntelangen Kommunismus haben die Bürger scheinbar das unternehmerische Denken und effiziente Arbeiten verlernt. Obwohl mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft arbeiten, trägt dieser Bereich nur 6 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung bei. Diesen katastrophalen Wert kann auch der ganze Stolz der Georgier nicht überdecken – der Orange Wine oder auch Natural Wine. Das Land, das als Wiege des Weinbaus gilt, kultiviert die Reben nach wie vor nach derselben Methode wie vor 8.000 Jahren: Die Trauben kommen samt Schale und Stengel in Riesenamphoren und sind nach dem Gärprozess über sechs Monate unter der Erde gelagert. Und ich muss sagen, ich finde den Tropfen mit der tatsächlich leicht orangen Farbe und seinem herben Geschmack wirklich sehr gut. Kein Wunder also, dass sich um diesen traditionellen Weinbau langsam ein Markt entwickelt – sowohl im Tourismus als auch im Weinexport. Ich hätte gern zu einer höheren Exportquote beigetragen, leider durfte ich aber nur drei Flaschen des Urweins mit nach Hause nehmen – Georgien ist ja leider nicht in der EU.

Improvisieren ist angesagt

Ein Blick auf die Häuser rund um die Hauptstraßen spiegelt die reale Lebenswelt der Georgier wider: Improvisieren ist angesagt – vom Dach, das mancherorts ohne Rinne auskommen muss, bis zur Gasleitung, die aus Kostengründen in ca. zweieinhalb Meter Höhe von Haus zu Haus führt. Und auch der Warenverkehr wirkt improvisiert: Über das Kaspische Meer hätte Georgien Zugang zur EU, dennoch laufen die meisten Lieferungen über die ungeliebte Türkei. Dabei könnte Georgien eine ideale Drehscheibe zwischen Europa und Asien sein. Die Georgier versuchten bei den Firmenbesuchen, die wir mit der Wirtschaftskammer absolvierten, die Situation gar nicht schön zu reden. Im Gegenteil, oft habe ich mir gewünscht, die Redner würden ihr Land besser verkaufen. Oder noch besser, statt zu jammern, in den kommenden Jahren die tollen Strände, wunderbaren Berge und fruchtbaren Böden auch wirtschaftlich auf denselben internationalen Standard wie den Orange Wine bringen.

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